Ende für Genossen - Gericht kippt Protest gegen Mitgliedschaftszwang
F.A.Z., 25.04.2020, Wirtschaft (Wirtschaft), Seite 22
lock. DRESDEN. Der Beschluss des Amtsgerichts Jena ist unmissverständlich: "Die Genossenschaft ist gemäß § 54a Abs. 2 GenG aufgelöst", heißt es in dem Schreiben, das die Konsumgenossenschaft Altenburg und Umgebung eG Ende vergangenen Jahres erreichte. Der Vorstand legte sofortige Beschwerde ein, doch die wies das Landgericht Gera nun zurück, und zwar ohne eine weitere Rechtsbeschwerde zuzulassen. Damit ist der juristische Kampf der kleinen Thüringer Genossenschaft gegen ein aus der Zeit des Nationalsozialismus stammendes Relikt im Genossenschaftsgesetz beendet.
Jene Vorschrift verlangt, dass jede Genossenschaft einem Verband angehören muss, dem das Prüfungsrecht verliehen ist. Diesen Mitgliedschaftszwang hatte die nationalsozialistische Reichsregierung 1934 ohne Beteiligung des Parlaments in das Genossenschaftsgesetz eingefügt. Ziel war es, die Genossenschaften gleichzuschalten, zu überwachen und eng an das Regime zu binden. Dennoch wurde das Gesetz nach Gründung der Bundesrepublik unverändert übernommen und gilt bis heute, seit der Wiedervereinigung auch im Osten Deutschlands.
Viele DDR-Genossenschaften sahen das Ende des Sozialismus, in dem sie bisher operiert hatten, als Chance zum Aufbruch. Auch die Altenburger Konsumgenossenschaft, die zwar keine eigenen Märkte mehr betrieb, aber nun Handelsimmobilien im ländlichen Raum in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt verpachtete. Mit 80 Genossen und zuletzt rund 200 000 Euro Umsatz war sie eine kleine Vertreterin ihrer Art. Die Freiheit, die sich DDR-Genossenschaften mit dem Umbruch 1989 erhofften, hatte freilich Tücken, und eine davon sei die "Zwangsmitgliedschaft" in Prüfverbänden, sagt Martin Bergner, bisher Aufsichtsratschef in Altenburg. Er sehe nicht ein, warum Genossenschaften nicht wie Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung ihre Wirtschaftsprüfer frei wählen dürfen, sondern stattdessen "Zwangsmitgliedsbeiträge" an Verbände leisten müssten, die "null Risiko" trügen und für die Wirtschaftsprüfung auch noch überhöhte Preise abrechneten. Bergner ist zugleich Vorstandssprecher der Berliner Zentralkonsum eG, der Zentralgenossenschaft von gut 30 ostdeutschen Konsumgenossenschaften. "Das Genossenschaftsmodell ist unschlagbar", sagt er. Sie seien gerade in Krisenzeiten stabil, weil sie nicht die kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern den langfristigen Nutzen für ihre Mitglieder im Blick hätten. Gerade deshalb störten ihn "verkrustete Verbandsstrukturen"; er fordert "mehr Transparenz, Wettbewerb und Mitgliedernähe", vor allem aber will er "die unzeitgemäße Pflichtmitgliedschaft konsequent abschaffen". Die Genossen in Altenburg sahen das genauso, Ende 2016 beschlossen sie in der Generalversammlung, die Mitgliedschaft ihrer Genossenschaft im Prüfverband zu kündigen.
Das Amtsgericht in Jena forderte die Genossenschaft mehrfach auf, sich wieder einem Verband anzuschließen. Die Genossen aber weigerten sich. Als die letzte Frist verstrichen war, sah sich das Gericht gezwungen zu handeln - und erklärte die Genossenschaft für aufgelöst. Nun ließ jedoch auch das Landgericht keine weiteren Rechtsmittel zu. "Auch wenn mit der Einführung der Verbandspflicht im Jahr 1934 politische Absichten verbunden waren, die für sich genommen den Freiheitsrechten widersprechen, so führt dies nicht dazu, dass allein deswegen das von dem demokratischen und rechtsstaatlichen Gesetzgeber beibehaltene Instrument des Verbandszwangs verfassungswidrig ist", heißt es in der Begründung. Sie stützt sich auf eine frühere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Damals hatte Karlsruhe eine Beschwerde gegen die Pflichtmitgliedschaft nicht angenommen, aber festgestellt, dass sie verfassungskonform ist. Das mag schon stimmen, sagt Bergner. "Aber wir sind überzeugt, dass die freie Wahl eines Prüfers genauso verfassungskonform ist."
Auch das sehen die Geraer Richter anders. "Der Verband bedarf zur Aufrechterhaltung seiner Prüftätigkeit, seiner Kompetenz und Unabhängigkeit eine sichere wirtschaftliche Basis", schreiben sie. Diese werde durch Mitgliedsbeiträge gewährleistet; allein über eine Gebühr für die jeweilige Prüfung sei die Verbandstätigkeit nicht finanzierbar. Die Altenburger Genossenschaft ist nun zum zweiten Mal nach 1941 aufgelöst. Die Immobilien würden nun verkauft und die Genossen ausgezahlt, sagt Bergner. "Wir sind gescheitert, aber in den Gremien einig, dass wir uns nicht einer einst braunen Gesetzgebung beugen." Er sei entschlossen, den Kampf gegen die Pflichtmitgliedschaft nicht aufzugeben. "Wir als Zentralkonsum prüfen zurzeit, Verfassungsbeschwerde gegen dieses völlig unzeitgemäße Gesetz einzulegen."
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