Die Anfechtung der Wahl einer „handverlesenen Vertreterversammlung“ einer eingetragenen Genossenschaft

Anmerkungen zum Urteil des Kammergerichtes in Berlin vom 17. Februar 2011

Berufungsurteil zum Urteil des Landgerichtes Berlin vom 06. Juli 2010
Vorbemerkung
Zum Glück gibt es nur wenige „Anfechtungsprozesse“ zur Vertreterversammlung einer eingetragenen Genossenschaft (eG).

Nunmehr liegt in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Wahl zu einer Vertreterversammlung bei einer Konsumgenossenschaft auch das Berufungsurteil des Kammergerichts in Berlin vor, Kammergericht Berlin vom 17. Februar 2011, Az.: 19 U 79/10. Hiergegen wurde die vom KG zugelassene Revision beim BGH eingelegt, die in den nächsten Wochen zu begründen ist.

Da das erstinstanzliche Urteil des LG Berlin vom 06. Juli 2010, Az.: 13 O 290/09, bereits in der KONSUM-INFO, Ausgabe 05 – September/Oktober 2010, S. 134 – 143, mit einer Anmerkung von Rechtsanwalt Berwald wiedergegeben wurde, soll sich dieser Beitrag über das Berufungsurteil des KG Berlin hinaus auch damit befassen, zu welchen grundsätzlichen genossenschaftsdemokratischen Fragen der Vertreterversammlung sich der BGH in seiner Revisionsentscheidung auch äußern sollte.

Zur den rechtlichen Möglichkeiten einer Wahlanfechtung

Die Mitglieder haben bei Wahlen zur Vertreterversammlung, die gegen die Regelungen in Gesetz, Satzung oder Wahlordnung verstoßen, die Möglichkeit, die Wahl anzugreifen.

Wenn es bei den Vertreterwahlen zu Rechtswidrigkeiten gekommen ist, steht den Mitgliedern der Genossenschaft sowohl ein Anfechtungsrecht als auch ein Recht auf Erhebung der Nichtigkeitsklage zu.

Die Nichtigkeit ist dann anzunehmen, wenn die Wahl so deutlich gegen elementare Grundprinzipien eines ordnungsgemäßen Wahlverfahrens verstoßen hat, dass selbst der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl nicht mehr gegeben ist.

Der BGH hat für Recht erkannt, dass die für die Anfechtung und Nichtigkeit von Beschlüssen der Generalversammlung maßgeblichen Regeln auch für die Wahl zur Vertreterversammlung gelten müssen (BGHZ 83, 228, 230 = NJW 1982, 2558 ff.).

Somit kann in Analogie zu § 249 AktG von jedem Mitglied der Genossenschaft vor dem Landgericht, in dessen Bezirk die Genossenschaft ihren Sitz hat, im Wege der Feststellungsklage die Nichtigkeit der Wahl geltend gemacht werden.

Gegenstand der Anfechtungsklage

In Verfahren vor dem LG und dem KG Berlin ging es um die Anfechtung einer Wahl zur Vertreterversammlung in einer großen Konsumgenossenschaft.

  • Der Kläger ist ein Mitglied, das verschiedene vorliegende formelle und materielle Mängel     der Durchführung der Vertreterversammlung gerügt hat.
  • Gegenstand der Anfechtung war u.a. die Wahlordnung, die von einer Bezirkswahl ausgeht und die in § 7 Abs. 2 zwischen Vorschlägen des Wahlvorstandes und den Vorschlägen anderer Mitglieder unterscheidet:
Während die Kandidatur bei Wahlvorschlägen „einfacher Genossenschaftsmitglieder“ von 20 Stützunterschriften abhängig gemacht wurde, sind diese bei Wahlvorschlägen des „Wahlvorstandes“ nicht erforderlich.
Das Vorschlagsrecht des Wahlvorstandes - ein Verstoß gegen das Prinzip der demokratischen Legitimation?

Die Genossenschaft ist ein ökonomisches und rechtliches Gebilde in Selbstverwaltung, die in der Generalversammlung ausgeübt wird.

Dieses Prinzip der direkten Selbstverwaltung durch die Mitglieder wird jedoch durch die Vertreterversammlung durchbrochen, sofern sich gemäß § 43a GenG eine Genossenschaft mit mehr als 1.500 Mitgliedern entscheidet, dass die Generalversammlung (nur noch) aus Vertretern der Mitglieder (Vertreterversammlung) bestehen soll.

Dies muss aber nicht sein, denn mit dem Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz im Jahre 1993 wurde die generelle Pflicht zur Einführung der Vertreterversammlung bei großen Genossenschaften aufgehoben.

Damit ist es zumindest seit 1993 nicht zwingend, dass alle Mitglieder, die nicht in die Vertreterversammlung gewählt werden, im Wesentlichen auf ein aktives Wahlrecht abgedrängt werden.

Wenn sich eine Genossenschaft mit mindestens 1.500 Mitgliedern für die Einführung der Vertreterversammlung entscheidet, so bedarf es eines satzungsändernden Beschlusses der Generalversammlung.

Nach § 43 a Abs. 4 GenG muss die Satzung bestimmen auf wie viele Mitglieder ein Vertreter entfällt. Somit besteht die Gefahr, dass eine Entfremdung der einzelnen Mitglieder von der Genossenschaft stattfindet, wenn die Zahl der Vertreter durch die Satzung besonders gering gehalten wird.

 

Bei einer Mindestmitgliederzahl von 1.500, setzt sich die Vertreterversammlung gemäß § 43a Abs. 1 GenG aus mindestens 50 Vertretern zusammen, die von den Mitgliedern gewählt werden. Setzt man diese Zahlen ins Verhältnis zueinander, so geht der Gesetzgeber davon aus, dass bei einer Genossenschaft mit 1.500 Mitgliedern auf jeden Vertreter nicht mehr als 30 Mitglieder entfallen.

Das „Kampfziel“ sollte daher grundsätzlich nicht die gesetzliche Mindestzahl von 50 Vertretern sein, zumal es heute technisch ohne Weiteres möglich ist, mit 300 Vertretern eine ordnungsgemäße Beratung und Entscheidung durchzuführen.

In jedem Falle ist die Zahl der Vertreter in ein angemessenes Verhältnis zu der Gesamtmitgliederzahl zu bringen.
§ 43 a Abs. 4 Satz 7 GenG enthält Regelungen für die Wahl der Vertreterversammlung.
Wichtige verfahrensmäßige Grundsätze sind jedoch einer Wahlordnung überlassen, die von den zuständigen Organen der Genossenschaft ausgearbeitet und verabschiedet werden muss.

Im Vordergrund dieser Wahlordnung stehen die Kandidaten, die der Wahlausschuss aufstellt. Steht nur eine Liste zur Wahl, so muss die Wahlordnung eine geheime Abstimmung vorsehen, bei der jeder Wähler seine Stimme zu dieser einen Liste durch ein „Ja“ oder „Nein“ auf dem Wahlzettel abgibt.

Besser ist es, wenn der Wähler eine Auswahlmöglichkeit zwischen den mehreren zur Wahl gestellten Personen hat, die auf dem Stimmzettel aufgelistet sind. Die Auswahl trifft der Wähler dann durch die Abgabe von maximal so viel Stimmen, wie Vertreter zu wählen sind.

Daher ist auch, wie im vorliegenden Rechtsstreit, die Wahlordnung dahingehend zu überprüfen, wie es um das eigene Wahlvorschlagsrecht der Mitglieder bestellt ist.

Die Wahlordnung Konsumgenossenschaft B. verlangt nur Wahlvorschläge „einfacher Genossenschaftsmitglieder“ 20 Stützunterschriften, während bei Wahlvorschlägen des „Wahlvorstandes“ diese „Hürde“ nicht besteht.
Der Wahlausschuss (hier in der WahlO: „Wahlvorstand“) entscheidet dann darüber, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.

Somit bleibt zunächst festzuhalten, dass dem einzelnen Mitglied zwar gestattet ist, weitere Wahlvorschläge einzureichen. Es muss allerdings bezweifelt werden, ob dies den verstreut wohnenden und sich nicht kennenden Mitgliedern gelingt. Damit dürfte an diesem Erfordernis der Stützunterschriften die Aufstellung von Alternativvorschlägen durch „einfache Mitglieder“ in der Praxis bereits regelmäßig scheitern.

Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, ob und wie das einzelne Mitglied Einfluss auf die Zusammensetzung des Wahlausschusses nehmen kann, damit zumindest auf diese Weise seine Interessen bei der Zusammensetzung der Vertreterversammlung berücksichtigt werden.

Nach der vorliegenden Wahlordnung sind ein Mitglied des Vorstandes und drei des Aufsichtsrates (geborene) Mitglieder des Wahlausschusses; wobei das jeweilige Vorstandsmitglied bzw. die Aufsichtsratsmitglieder durch Beschluss von Vorstand bzw. Aufsichtsrat und nicht der Vertreterversammlung dazu bestimmt werden. Zusätzlich werden in den Wahlausschuss von der Vertreterversammlung mehrere Mitglieder der Genossenschaft gewählt, wobei die Zahl der in den Ausschuss zu wählenden Genossenschaftsmitglieder die Zahl der Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates und mindestens eines übersteigen müssen.

Zunächst ist zu befürchten, dass mit der Einräumung von „reservierten“ Sitzen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat im Wahlausschuss ein zu starker Einfluss auf die Wahl der Vertreter gegeben wird, insbesondere auf die Zusammensetzung der Kandidaten.

Die übrigen Mitglieder sind dem Informationsvorsprung von Vorstand und Aufsichtsrat ohnehin kaum gewachsen. Somit dürfte die Verwaltung keine Mühe haben, ihre eigenen Vorschläge zur Besetzung der Mandate in der Vertreterversammlung durchzusetzen. Damit bestimmt die Verwaltung letztlich selbst, wer zu ihrem Kontrollorgan gehört.

Das Kräftegleichgewicht zwischen der Verwaltung einerseits und den Mitgliedern andererseits wird durch solche institutionellen Machtstellungen empfindlich gestört. Es darf jedoch in einer funktionierenden Wirtschaftsdemokratie und so auch in einer eingetragenen Genossenschaft nicht soweit kommen, dass die Kontrollierenden letztlich ihre Kontrolleure selbst bestimmen.

Der Willensbildungsprozess in der Genossenschaft muss von unten nach oben verlaufen und darf nicht durch institutionelle Vorkehrungen anderer Art gestört oder beeinflusst werden.

Auch wählte im vorliegenden Anfechtungsfall die Vertreterversammlung – und nicht die Generalversammlung – die Mitglieder, die mit Sitz und Stimme in den Wahlausschuss einziehen. Das einzelne Mitglied hat daher keinen Einfluss mehr auf den Wahlausschuss, sobald die Vertreterversammlung selbst die für die Mitglieder vorgesehenen Plätze im Wahlausschuss bestimmt. Hier liegt die Gefahr nahe, dass die Vertreterversammlung nur solche Mitglieder in den Wahlausschuss entsenden wird, die eine Gewähr dafür bieten, dass sich die Vertreterversammlung auch künftig in der Weise zusammensetzt, wie es der amtierenden Vertreterversammlung genehm ist.

Bei einer solchen Verfahrensweise wird jedoch der Eindruck erweckt, dass von der Spitze her festgelegt wird, wie das Repräsentativorgan der Genossenschaft besetzt sein wird!

Dem einzelnen Mitgliedern werden damit wesentliche Einflussmöglichkeiten bei der Wahl der Vertreter genommen. Das kann nicht i. S. d. Gesetzgebers sein, der in § 43a Abs. 4 Satz 1 GenG die allgemeinen Grundsätze einer demokratischen Wahl verlangt.

 
Mit diesen grundsätzlichen Fragen hat sich jedoch das Kammergericht überhaupt nicht auseinandergesetzt.
Damit sind im vorliegenden Rechtstreit die Rechtsfragen, die beim Zustandekommen und der Zusammensetzung der Vertreterversammlung bestehen; insbesondere inwieweit die Wahlordnung und die Zusammensetzung des Wahlausschusses sowie das Wahlvorschlagsrecht dem Prinzip der demokratischen Selbstverwaltung in der Genossenschaft gerecht werden, noch nicht rechtlich geprüft.
 
Zusammenfassung:
Die Vertreterversammlung ist das Repräsentativorgan für die Mitglieder anstelle der Generalversammlung.

Voraussetzung ist jedoch, dass jedes Mitglied in ausreichendem Maße auf die Nominierung der Kandidaten für die Wahlliste Einfluss nehmen kann.

Im vorliegenden, nunmehr auch beim BGH anhängigen Rechtsstreit, kann dies jedoch bezweifelt werden. Denn schon die Zusammensetzung des Wahlausschusses steht dem entgegen: Vorstand und Aufsichtsrat sind z. T. geborene Mitglieder des Wahlausschusses und dürften es gewohnt sein, einen beherrschenden Einfluss auf die Zusammensetzung der Kandidatenliste auszuüben. Zudem wurden die den Mitgliedern zustehenden Plätze im Wahlausschuss durch Wahl in der Vertreterversammlung und nicht in der Generalversammlung besetzt.

Da damit letztlich Vorstand und Aufsichtsrat entscheidend Einfluss auf die Frage nehmen, vom wem sie künftig kontrolliert werden, repräsentiert die Vertreterversammlung kaum noch die Gesamtheit der Mitglieder. Vielmehr führt dieser Prozess über die Jahre zu einer Festigung der Macht im Dreieck zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und handverlesener Vertreterversammlung, die mit den genossenschaftlichen Grundprinzipien der demokratischen Selbstverwaltung und -bestimmung nicht mehr in Einklang zu bringen ist, was gerade hier schon zu den bekannten Folgen führte.

 
 
RA Uwe Scheibner

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