Bundesverfassungsgericht überprüft endlich wieder den gesetzlichen Zwang zu einer Mitgliedschaft bei der örtlichen Industrie- und Handelskammer

Nachdem das Bundesverfassungsgericht 1962 eine Verfassungsbeschwerde gegen den Kammerzwang mit der Begründung abgelehnt hatte, dass eine zwangsweise Interessenvertretung und Wahrnehmung mit dem Grundgesetz, insbesondere der Vereinigungsfreiheit nach Artikel 9 GG, vereinbar sei, und ein weiterer Versuch 2001 gescheitert war, hat sich das Gericht jetzt aufgrund mehrerer Verfassungsbeschwerden zu einer Anhörung entschlossen und sich an über 30 Ministerien, Institutionen und Organisationen mit der Bitte um eine Stellungnahme gewandt.

Da das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren solche gesetzlichen Zwänge kritischer sieht und z. B. 2009 eine Zwangsabgabe an den Absatzfonds der Land- und Ernährungswirtschaft für verfassungswidrig erklärt hat, bestehen Aussichten, dass Verfassungsbeschwerden gegen das IHK-Gesetz angenommen und dessen Regelungen Gegenstand einer umfangreichen Entscheidung sein werden, die dies dann eventuell ganz oder teilweise für verfassungswidrig erklären könnte.

Sollte die Verfassungsbeschwerde auch nur teilweise Erfolg haben, so wäre dann auch zu prüfen, ob nicht nach dem ebenfalls 2001 gescheiterten Versuch erneut eine Verfassungsbeschwerde gegen die Pflichtmitgliedschaft von Genossenschaften in genossenschaftlichen Prüfungsverbänden erhoben werden sollte.

Da es jedem frei steht, entsprechende Stellungnahmen beim Bundesverfassungsgericht zu einem laufenden Verfahren einzureichen, hat die Zentralkonsum eG mit folgendem Schreiben auf die besondere Situation der Genossenschaften hingewiesen, die sowohl Zwangsmitglied der öffentlich-rechtlichen Körperschaft IHK als auch Zwangsmitglied eines privatrechtlichen genossenschaftlichen Prüfungsverbandes sein müssen: 

Ihre Aktenzeichen: 1 BvR 2222/12, 1106/13
Mitgliedschaft in Industrie- und Handelskammern
Stellungnahme  

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben davon erfahren, dass das Bundesverfassungsgericht auf Grund neuer Verfassungsbeschwerden um Stellungnahmen gebeten hat, um die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen für seine Entscheidung vorzubereiten. Obwohl wir nicht zu den von Ihnen angeschriebenen Institutionen zählen, haben Sie uns auf Anfrage bestätigt, dass darüber hinaus Stellungnahmen abgegeben werden können.

Wir möchten auf die besondere Situation der Genossenschaften in diesem Zusam-menhang hinweisen.

Die Zentralkonsum eG ist die Zentralgenossenschaft und der Dachverband der heute noch aktiv tätigen Konsumgenossenschaften in den neuen Bundesländern, zählt aber auch mittlerweile andere Genossenschaften und Unternehmen anderer Rechtsformen zu ihren Mitgliedern. Wir sind dabei einer der wenigen genossenschaftlichen Verbände, die kein genossenschaftlicher Prüfungsverband sind und daher neben unserer wirtschaftlichen Unabhängigkeit auch rechtlich unabhängig die Interessen der Genossenschaften auch im Hinblick auf den Zwang zur Mitgliedschaft in genossenschaftlichen Prüfungsverbänden vertreten können.

Denn die Genossenschaften sind im Hinblick auf die Ihnen zur Entscheidung vorlie-gende Verfassungsbeschwerde in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit doppelt beeinträchtigt: Die Genossenschaften sind als juristische Personen des privaten Rechts immer auch zwangsweise Mitglieder der regionalen Industrie- und Handels-kammern.

Daneben müssen Genossenschaften aber als einzige Rechtsform des privaten Rechts zwangsweise immer Mitglied eines Prüfungsverbandes sein, § 54 und § 54a Genos-senschaftsgesetz. Im Unterschied zur Industrie- und Handelskammer ist ein genos-senschaftlicher Prüfungsverband nach Vorstellungen des Genossenschaftsgesetzes ein privatrechtlicher, eingetragener Verein. In der Regel nur theoretisch kann sich die Genossenschaft zwar den genossenschaftlichen Prüfungsverband  aussuchen, dem sie zwangsweise beitritt, aber auf Grund des Unternehmensgegenstandes (so z. B. bei Genossenschaftsbanken) und mangels in zahlreichen Regionen bestehender anderer genossenschaftlicher Prüfungsverbände, die in Betracht kommen, ist die überwiegende Zahl der Genossenschaften letztlich gezwungen, dem jeweiligen regi-onalen oder Branchen-Prüfungsverband beizutreten. Hinzu kommt eine seit über zehn Jahren andauernde und noch nicht abgeschlossene Entwicklung, bei der ein genossenschaftlicher Prüfungsverband, der sich auch nur noch „Genossenschafts-verband“ nennt, das Ziel hat, der alleinige genossenschaftliche Prüfungsverband für das gesamte Bundesgebiet zu werden, was ihm schon zu über zwei Dritteln Deutschlands gelungen ist. Zurzeit wird insofern die Fusion mit dem Rheinisch-Westfälischer Genossenschaftsverband e. V. endverhandelt.

Für uns und unsere Mitgliedsgenossenschaften ist dabei besonders misslich, dass sich die Angebote der Industrie- und Handelskammern einerseits und der genossenschaftlichen Prüfungsverbände andererseits zum Teil überschneiden, also von den Genossenschaften letztlich doppelt bezahlt werden müssen:

  • Wahrnehmung der Interessen der Mitglieder,
  • Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder,
  • Wahrung der Ordnungsmäßigkeit des wirtschaftlichen Verhaltens,
  • umfassende Angebote zu Service und Unterstützung sowie Beratung der Mitglieder,
  • Durchführung von Fort- und Weiterbildung und
  •  insbesondere Steuer- und Rechtsberatung,

auch wenn von unseren Mitgliedsgenossenschaften einige oder sogar alle Angebote beider Institutionen überhaupt nicht in Anspruch genommen werden.

Auch die gegenüber Industrie- und Handelskammern erhobene Kritik, wie Misswirt-schaft, Intransparenz, Überversorgung und Überdotierung des Leitungspersonals, Defizite in der internen Demokratie usw. doppelt sich.

Befremdlich ist, dass sowohl die Zwangsmitgliedschaft bei einer Industrie- und Handelskammer als auch die Zwangsmitgliedschaft bei einem genossenschaftlichen Prüfungsverband so nur in Deutschland existiert. Durch historische Forschungen ist dabei belegt, dass die Einführung der Zwangsmitgliedschaft in genossenschaftlichen Prüfungsverbänden im Jahre 1934, also knapp zwei Jahre nach der Machtübernahme durch Hitler in das Genossenschaftsgesetz gekommen ist. Zusammen mit anderen neuen Vorschriften war die Zwangsmitgliedschaft Teil der vollständigen Gleichschaltung der Genossenschaften und spezifischer Bestandteil nationalsozia-listischer Politik.

Abschließend möchten wir Sie vorsorglich noch darauf hinweisen, dass wir und un-sere Mitglieder als frei gebildete Genossenschaften nach dem Genossenschaftsgesetz zu unterscheiden bzw. zu trennen sind von den „Berufsgenossenschaften“ genannten Körperschaften des öffentlichen Rechts, bei denen es sich wie bei den Industrie- und Handelskammern um auf Zwangsmitgliedschaft beruhenden Sozial-versicherungsträgern handelt, die nahezu vollständig Teil der staatlichen Sozialver-waltung (Unfallversicherung) sind.

Für Fragen und weitere Auskünfte stehen wir selbstverständlich zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen



►Eingangsbestätigung des Bundesvefassungsgerichtes


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