Urteil des Landgericht Berlin vom 06.07.2010

Das LG Berlin hat hier die vom 04. bis 18.05.2009 durchgeführte Wahl zur Vertreterversammlung für nichtig erklärt. Das Gericht hat ebenfalls nachfolgende Regelungen der Wahlordnung (Beschluss der Vertreterversammlung vom 18.03.2009) für nichtig erklärt:

„Die Mitglieder des Wahlvorstandes dürfen nicht zugleich Kandidaten sein.“ (§ 1 Abs. 2 S. 4)
„Andere Wahlvorschläge bedürfen zu ihrer Wirksamkeit zwanzig Unterstützungsunterschriften aus dem Wahlbezirk.“ (§ 7 Abs. 2 S. 1)
„Zum Wahlhelfer darf nicht bestimmt werden, wer zur Wahl der Vertreterversammlung kandidiert oder wer einen Wahlvorschlag mit seiner Unterschrift unterstützt hat.“ (§ 9 Abs. 1)

Den weitergehenden Antrag, die Beschränkung der Briefwahl auf Mitglieder außerhalb Berlins ebenfalls für nichtig zu erklären, hat das Gericht abgewiesen.

Dem Gericht reichte für die Nichtigkeit der Wahl erstens, dass mit Satzungsänderung vom 18.03.2009 die Notwendigkeit von Stützunterschriften für Wahlvorschläge eingeführt dann aber die Wahl auf Grundlage von Wahlvorschlägen durchgeführt wurde, die keine Stützunterschriften beinhalteten. Zweitens wurde gegen § 43 a Abs. 2 GenG verstoßen, der Einschränkungen des passiven Wahlrechts endgültig regelt. Zwingende Vorschriften aus Gesetz und Satzung können nicht durch eine Wahlordnung geändert werden.

Ob die weiteren vorliegenden Verstöße, insbesondere der Zuschnitt der Wahlbezirke, die Ermittlung der Wahlberechtigten und der Anzahl der zu wählenden Personen sowie die tatsächlichen Abläufe (Kandidatenpräsentation, Gestaltung der Stimmzettel, Feststellung des Wahlergebnisses) ebenfalls geeignet sind, die Nichtigkeit (oder Anfechtbarkeit) der Wahl herbeizuführen, hat das Gericht, da bereits aus o. g. Gründen Nichtigkeit vorlag, nicht mehr geprüft. In der Praxis müssen auch solche Fehler vermieden werden. Hervorhebungen im Text des nachfolgenden Urteils erfolgten durch den Verfasser.

Rechtsanwalt Bodo Berwald



Landgericht Berlin

Im Namen des Volkes

Urteil
Geschäftsnummer: 13 0 290/09
verkündet am: 06.07.2010
 
In dem Rechtsstreit
des Herrn …                             
Klägers,
 
gegen
die Konsumgenossenschaft …,                                                   
Beklagte,
hat die Zivilkammer 13 des Landgerichts Berlin in Berlin-Charlottenbürg, Tegeler Weg 17-21, 10589 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 25.05.2010 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Baara für Recht erkannt:

1.   Es wird festgestellt, dass die vom 4. Mai 2009 bis 18. Mai 2009 durchgeführte Wahl   zur Vertreterversammlung der Beklagten und der Beschluss des Wahlausschusses über Feststellung des Ergebnisses dieser Wahl zur Vertreterversammlung der Beklagten nichtig sind.

2.   Es wird weiter festgestellt, dass § 1 Abs. 2 S. 4, § 7 Abs. 2 und § 9 Abs. 1 der Wahlordnung der Beklagten vom 18. Marz 2009 nichtig sind.

3.   Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.   Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen.

5.   Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Jede Partei darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beklagte ist eine eingetragene Genossenschaft. Der Kläger ist zu Mitgliedsnummer 291871 als Mitglied der Beklagten verzeichnet. Am 8. Oktober 2003 wurde durch den Vorstand der Beklagten Insolvenzantrag gestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 1. März 2004 endgültig eröffnet und durch rechtskräftigen Insolvenzplan in Februar 2007 beendet.

Gemäß § 14 Abs. 1 der Satzung der Beklagten (Anlage K 3) gehört zu den Organen der Beklagten die Vertreterversammlung, bestehend aus mindestens 50 gewählten Vertretern. Zur Wahl der Vertreter und Ersatzvertreter heißt es in § 15 auszugsweise:

„(1) Die Mitglieder wählen ihre Vertreter auf die Dauer von vier Jahren. Jedes Mitglied hat eine Stimme.

(2) Auf je angefangene 1.000 Mitglieder entfällt ein Vertreter.

(3) Nähere Bestimmungen über das Wahlverfahren, den Wahlvorstand einschließlich der Feststellung des Wahlergebnisses werden in einer Wahlordnung geregelt, die vom Vorstand und Aufsichtsrat aufgrund übereinstimmender Beschlüsse erlassen wird. Sie bedarf der Zustimmung der Vertreterversammlung.

(4) Die Wahl findet in Wahlbezirken statt. Der Wahlvorstand bestimmt mit Zustimmung von Vorstand und Aufsichtsrat die Wahlbezirke, die so eingerichtet werden sollen, dass die Gleichheit der Wahl. gewährleistet ist....

(5) Ist ein Vertreter weggefallen, tritt an seine Stelle der für den Wahlbezirk gewählte Ersatzvertreter. Fällt auch dieser weg, rückt unabhängig vom Wahlbezirk der Ersatzvertreter mit der höchsten Stimmenzahl nach. ..."

Der Kläger war seit 2007 Mitglied der Vertreterversammlung. In der Vertreterversammlung vom 18. März 2009 wurde eine vom Vorstand und Aufsichtsrat erarbeitete Wahlordnung (nachfolgend WO) zur Zustimmung vorgelegt. Mit Beschluss Nr. 9/41/2009 wurde die Wahlordnung mit einer Gegenstimme, der des Klägers, beschlossen. Der Kläger erklärte seinen Widerspruch zu Protokoll.

Mit Beschluss Nr. 10/41/2009 beschloss die Vertreterversammlung die Änderung des § 11 der Satzung des Inhalts, dass für Wahlvorschläge der Mitglieder zur Vertreterversammlung die Unterschriften von 20 Mitgliedern aus dem Wahlbezirk erforderlich waren. Auch dieser Beschluss wurde mit einer Gegenstimme gefasst. Ein Widerspruch ist insoweit nicht protokolliert.

Für den weiteren Ablauf der Versammlung wird auf das Protokoll Anlage K 2 Bezug genommen. Die Wahlordnung, die Gegenstand der Beschlussfassung war, lautet. in Auszügen:

㤠1 Wahlvorstand

(1) Zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl von Vertretern und Ersatzvertretern zur Vertreterversammlung sowie aller damit zusammenhängender Entscheidungen wird ein ehrenamtlicher Wahlvorstand bestellt.

(2) Der Wahlvorstand besteht aus:
a) einem Vorstandsmitglied
b) drei Aufsichtsratsmitgliedern und
c) fünf weiteren Genossenschaftsmitgliedern.

Die Mitglieder gemäß c) werden von der Vertreterversammlung gewählt. Die Mitglieder des Wahlvorstandes dürfen nicht zugleich Kandidaten sein.

§ 7 Kandidaten und Wahlvorschläge

(1) Der Wahlvorstand stellt Kandidaten für die Wahl zur Vertreterversammlung auf.

(2) Andere Wahlvorschläge bedürfen zu ihrer Wirksamkeit zwanzig Unterstützungsunterschriften aus dem Wahlbezirk. ...          -

(3) Die Kandidaten müssen ihr schriftliches Einverständnis zur Annahme der Kandidatur erklären. Sie stellen sich auf Kandidatentafeln vor. ...

§ 8 Form der Wahl

(1) Die Wahl findet als Urnenwahl statt. Davon ausgenommen sind Wahlbezirke, die nicht in Berlin liegen. Hier kann die Wahl auch als Briefwahl durchgeführt werden.

(2) Die Vertreter und Ersatzvertreter werden in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Wahl gewählt.

§ 9 Wahlhelfer

(1) Zum Wahlhelfer darf nicht bestimmt werden, wer für die Wahl zur Vertreterversammlung kandidiert oder wer einen Wahlvorschlag mit seiner Unterschrift unterstützt hat. ...

§ 11 Briefwahl

(1) Die Mitglieder, die ihren Wohnsitz außerhalb Berlins haben, wählen per Briefwahl. ..."

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 5 verwiesen.

Im Zeitraum vom 4. - 18. Mai 2009 fand eine weitere Vertreterwahl statt, bei der der Kläger kandidierte. Die Beklagte legte dabei eine Zahl der Wahlberechtigten von insgesamt 74.247 zugrunde, die sich entsprechend der von der Beklagten erstellten Aufstellung (Anlage K 1) auf die einzelnen Wahlbezirke verteilte. Dabei sollten pro Bezirk für jeweils 1000 Mitglieder ein Vertreter und für das angefangene letzte 1000 ein weiterer gewählt werden. Nach den Berechnungen der Beklagten (S. 22 des Schriftsatzes vom 9. Oktober 2009) entfielen je nach Wahlbezirk auf einen Vertreter zwischen 804 und 981 Wähler.

Die zur Wahl ausgefertigten Stimmzettel, auf denen die Kandidatennamen nicht nach einem bestimmten System angeordnet waren, enthielten keinen Hinwies auf den Vorschlagenden oder ein Kennwort. Im Wahlverlauf wurde am 7. Mai 2009 vom Kläger festgestellt, dass bei der Präsentation der Kandidaten auf den Kandidatentafeln für ihn - im Gegensatz zu anderen Kandidaten - kein Bild und keine Kurzbiographie vorhanden waren. Auf entsprechende Rüge des Klägers wurde Beides angebracht.

Das Wahlergebnis wurde am 25. Mai 2009 bekannt gemacht. Danach war der Kläger zweiter Ersatzvertreter. Er erhob unter dem 22. Juni 2009 Einspruch gegen die Wahl (Anlage K 14), der mit Schreiben des Wahlvorstandes vom 29. Juni 2009 (Anlage B 1) zurückgewiesen wurde.

Der Kläger hält die durchgeführte Wahl sowie Teile der Wahlordnung der Beklagten für nichtig: Der Ausschluss der Mitglieder des Wahlausschusses sowie der Wahlhelfer vom passiven Wahlrecht entspreche nicht dem Gesetz, das eine solche Einschränkungsmöglichkeit nicht vorsehe. Das Erfordernis von Stützunterschriften für Vorschläge einfacher Mitglieder privilegiere die Vorschläge des Vorstands in unzulässiger Weise, insbesondere dann, wenn die Beteiligung der Mitglieder an Wahlvorgängen ohnehin gering sei. Zumindest die Kandidatur des Mitglieds Bergner sei an den fehlenden Stützunterschriften auch tatsächlich gescheitert. Der Zuschnitt der Wahlbezirke verstoße gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, weil den einzelnen Stimmen unterschiedliche Gewichtung zukomme. Außerdem dürfe für die das letzte volle 1000 übersteigenden Mitglieder kein zusätzlicher Vertretergewählt werden. Die Zahl der wahlberechtigten Mitglieder sei zudem nicht zutreffend ermittelt worden, so hätten Stichproben im Wahlbezirk Pankow ergeben, dass diverse der in den Listen verzeichneten Mitglieder unter der angegebenen Anschrift nicht erreichbar gewesen seien. Der Ausschluss der Briefwahl für in Berlin wohnhafte Mitglieder führe zu einer unzulässigen Benachteiligung älterer oder körperlich eingeschränkter Mitglieder. Die Wahl selbst sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, seine  Präsentation im Wahllokal und die Gestaltung der Stimmzettel habe nicht der Wahlordnung entsprochen, zudem sei das Ergebnis nicht ordnungsgemäß festgestellt worden.

Mit der am 25. Juni 2009 bei Gericht eingegangenen und am 24. August 2009 zugestellten Klage beantragt der Kläger, festzustellen, dass die § 1 Abs. 2 S. 3 (richtig: S. 4) WO, § 7 Abs. 2 WO, § 9 Abs. 1 WO sowie § 11 Abs. 1 S. 1 WO - letzterer mit der Maßgabe, dass die Einschränkung der Briefwahl auf Mitglieder außerhalb Berlins entfällt -, die vom 4. bis 18. Mai 2009 durchgeführte Wahl zur Vertreterversammlung der Beklagten und der Beschluss des Wahlausschusses über die Feststellung des Ergebnisses dieser Wahl zur Vertreterversammlung nichtig sind.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich hinsichtlich der Beschlussanfechtung auf Versäumung der - nach ihrer Auffassung mit der Wahlhandlung beginnenden - Klagefrist und hält die Klage im Übrigen wegen Verstoßes gegen die mitgliedschaftliche Treuepflicht für unzulässig, da mit der Klage letztlich geschäftspolitische Ziele verfolgt würden. In der Sache gegen den konkreten Wahlablauf gerichteten Beanstandungen für unzutreffend und tragt hierzu im Wesentlichen vor, bei Zugrundelegen der gebotenen - auch verfassungsrechtlichen - Maßstabe bzw. Vergleich mit anderen Wahlvorgängen, z.B. Personalratswahlen, seien keine Verstöße gegen tragende Wahlrechtsgrundsatze festzustellen. Die Regelung, dass Mitglieder des Wahlvorstands bzw. Wahlhelfer nicht gleichzeitig Kandidaten sein könnten, diene dem Ausschluss von Interessenkollisionen und entspreche auch dem BWahIG. Darin liege auch keine unzulässige Einschränkung des passiven Wahlrechts, da niemand verpflichtet werden könne, Wahlvorstand oder -helfer zu werden. Die Einführung von Stützunterschriften sei gesetzlich zulässig und weithin üblich. Letztlich seien alle interessierten Kandidaten auch ohne Vorliegen von Stützunterschriften aufgestellt worden. Eine allgemeine Briefwahl könne aus Kostengründen nicht realisiert werden.

Auch könnten Mitgliederlisten nicht wirksam überprüft werden, wenn z.B. Mitglieder Anschriftenänderungen satzungswidrig nicht mitteilten oder das Versterben eines Mitglieds nicht bekannt werde. Ein absolut gleicher Zuschnitt der Wahlbezirke sei praktisch nicht möglich, schon wegen auftretender Fluktuationen, die Abweichungen des Zahlwerts der Stimmen hielten sich aber im zulässigen Rahmen. Der Ablauf der Wahl sei nicht zu beanstanden. Das anfängliche Fehlen der Kurzbiographie beruhe auf einem Versehen, ein Foto habe der Kläger zunächst trotz Aufforderung nicht zur Verfügung gestellt. Außerdem seien sämtliche erforderlichen Informationen in einem Kandidatenordner enthalten gewesen, der den Wählern zur Verfügung gestanden habe. Es könne zudem ausgeschlossen werden, dass ein unterstellter Verstoß kausal für das Wahlergebnis geworden sei. Bis. zum Zeitpunkt der Ergänzung der Unterlagen hatten erst vier Mitglieder ihre Stimme abgegeben, darunter zwei Aufsichtsratsmitglieder und ein Vorstandsmitglied, die jedenfalls nicht den Kläger gewählt hatten, der erste Ersatzvertreter habe jedoch drei Stimmen mehr gehabt als der Kläger. Die Gestaltung der Stimmzettel sei nicht zu beanstanden, insbesondere bestehe kein Anspruch auf ein bestimmtes System für die Aufzählung der Kandidaten.

In einem weiteren Schriftsatz vom 11. Juni 2006 hat die Beklagte ergänzend vorgetragen, der Kläger sei nicht mehr Mitglied der Beklagten.

Für das weitergehende Parteivorbringen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig.

1. Die Klage ist nicht wegen Versäumung der Klagefrist des § 51 Abs. 1 S. 2 GenG unzulässig. Die Klagefrist spielt ohnehin nur insoweit eine Rolle, als in der vorrangig erhobenen Klage auf Feststellung der Nichtigkeit, die entsprechend § 249 AktG ohne Einhaltung einer Frist erhoben werden kann (BGH NJW 1978, 1325), inzident eine Anfechtungsklage gegen den Beschluss zur Verabschiedung der Wahlordnung enthalten ist.

Die in diesem skizzierten Umfang relevante Frist ist eingehalten. Sie beginnt frühestens mit der Feststellung des Wahlergebnisses am 25. Mai 2009. Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf die Kommentierung von Cario in Lang/Weidmüller, GenG, 36. Aufl., Rn. 55 zu § 51 die Auffassung vertritt, die Frist beginne mit der Wahlhandlung als solcher kann dem nicht gefolgt werden. In der Kommentierung ist lediglich allgemein von „Wahl" die Rede. Damit kann ebenso gleichsam als letzter Akt der Wahl die Feststellung des Wahlergebnisse gemeint sein. Ein solches Verständnis ist nach Auffassung des Gerichts allein sinnvoll. Insbesondere in den Fällen, in denen es darauf ankommt, ob ein Fehler geeignet ist, das Wahlergebnis zu beeinflussen, kann die Frist zur Anfechtung nicht vor der den Mitgliedern kundgegebenen Feststellung des Wahlergebnisses beginnen. Ein solcher Fristbeginn ist auch geeignet, das in der angesprochenen Kommentarstelle herausgestellte Ziel einer alsbaldigen Rechtsklarheit zu erreichen.

Die hiernach am 25. Mai 2009 beginnende Frist ist eingehalten. Die Klage ist am 25. Juni 2009 bei Gericht eingegangen und gemäß § 167 ZPO demnächst zugestellt worden. Die nach Streitwertfestsetzung durch Beschluss vom 9. Juli 2009 ausgestellte Vorschussanforderung ist von der Geschäftsstelle am 17. Juli 2009 (Freitag), bearbeitet worden. Die laut Zahlungsanzeige am 3. August 2009 (Montag) eingegangene Zahlung ist daher jedenfalls rechtzeitig, ohne dass es auf das genaue Eingangsdatum noch ankäme.

2. Die Klage ist auch nicht wegen Verstoßes gegen die aus der Mitgliedschaft folgende Treuepflicht unzulässig. Unabhängig davon, dass ein solcher Verstoß nicht zur Unzulässigkeit - etwa unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Rechtsschutzinteresses, sondern zur Unbegründetheit der Klage führen könnte (vgl. die Nachweise bei Beuthien, GenG, 14. Aufl., Rn. 17 zu § 51 GenG), kann ein solcher Verstoß auch inhaltlich nicht festgestellt werden: Ein solcher Verstoß könnte etwa- angenommen - werden, wenn - der Anfechtende aus genossenschaftsfremden Motiven handelt oder Druck auf die Genossenschaft ausüben will, um sich damit in eigennütziger Weise einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen, auf den er keinen Anspruch hat (BGH NJW 1989, 2689, 2692 zur AG). So liegt es hier nicht. Dem Kläger geht es erkennbar nicht darum, die Beklagte zur Gewährung von Vorteilen zur Abgeltung eines anderenfalls lästigen Verfahrens zu bewegen, vielmehr liegt ein grundlegender Konflikt über die Ausrichtung der Genossenschaft und die Geschäftspolitik vor. In diesem Rahmen hat jeder Genosse das Recht, die Beschlüsse der Genossenschaft in dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren überprüfen zu lassen, auch - und gerade - wenn die Mehrzahl der Genossen diese Auffassung nicht teilt oder als unbequem oder die alltäglichen Ablaufe hindernd empfindet.

II. Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

1. Die vom 4. bis. 8. Mai 2009 durchgeführte Wahl war für nichtig zu erklären, weil bei ihrer Durchfahrung tragende Wahlrechtsgrundsatze verletzt wurden.

Gemäß § 43 a Abs. 1 GenG kann bei Genossenschaften mit mehr als 1500 Mitgliedern die Satzung bestimmen, dass eine  Vertreterversammlung eingesetzt wird.  Als Vertreter kann jede natürliche,

unbeschränkt geschäftsfähige Person gewählt werden, die Genossenschaftsmitglied ist und nicht dem Vorstand oder Aufsichtsrat angehört. Die Vertreter werden gemäß § 43 Abs. 4 GenG in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Wahl gewählt.

Gegen diese gesetzlichen Grundsätze hat die Beklagte im vorliegenden Fall jedenfalls in zweifacher Weise verstollen. Dabei führen Verstöße gegen zwingende gesetzliche Regelungen zur Nichtigkeit und nicht lediglich zur Anfechtbarkeit. Bei der Prüfung ist zu berücksichtigen, dass die Art der Wahl auch die Rechte der Minderheit in angemessener Weise gewahrt werden, damit etwa die Ausübung von Sperrminoritäten nicht unmöglich gemacht wird (BGH NJW 1981, 2558, 2559). Dabei ist zur Klarstellung zu bemerken, dass diese Grundsätze nicht nur, was die Beklagte anzunehmen scheint, für die in der Entscheidung angesprochene Listenwahl, sondern generell gelten.

a) Unzulässig ist es, wenn Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlhelfer nicht wählbar sind. Darin liegt ein Verstoß gegen höherrangiges Recht (§ 43 a Abs. 2 GenG) und gleichzeitig ein Verstoß gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, der besagt, dass kein Mitglied - außer in den gesetzlich bestimmten Fällen - von der Wahl ausgeschlossen werden darf. Die Voraussetzungen des passiven Wahlrechts regelt § 43a Abs. 2 GenG abschließend, d.h. gewählt werden kann jedes unbeschränkt geschäftsfähige Genossenschaftsmitglied; ausgeschlossen sind nur Mitglieder des Vorstands bzw. Aufsichtsrats. Der Kreis der passiv wahlbaren Mitglieder-kann durch die Satzung bzw. Wahlordnung weder erweitert noch beschränkt werden (Carlo in Lang/Weidm011er, a.a.O., Rn. 24 f.). Der Umstand, dass es in anderen Wahlordnungen durchaus üblich ist, dass Mitglieder des Wahlvorstandes nicht gleichzeitig Kandidaten sein können, um jeden Anschein einer auch nur theoretisch möglichen Beeinflussung der Stimmauszählung, Feststellung der Gültigkeit einzelner Stimmen etc. zu vermeiden, entlastet die Beklagte insoweit nicht. Zum einen kann einer möglichen Beeinflussung auch auf andere Weise entgegen gewirkt werden, etwa durch öffentliche Stimmauszählung und transparente Gestaltung der Wahlabläufe, zum anderen macht auch ein an sich achtenswertes Motiv die Einhaltung einer gesetzlichen Regelung nicht entbehrlich.

Soweit der Beklagte auf die Vorschrift des § 9 Abs. 3 BWahIG verweist, ist dies rechtlich unerheblich, weil schon die Ausgangskonstellation nicht vergleichbar ist. Bundestags- und andere politische Wahlen sind dadurch gekennzeichnet, dass nur eine geringe Anzahl von potentiellen Kandidaten der teilnehmenden Parteien einer Vielzahl von möglichen Wahlhelfern - theoretisch jeder volljährige, geschäftsfähige Staatsbürger - gegenübersteht, die (etwa im Fall einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst) auch per Anordnung berufen werden können. Die Situation bei der Beklagten, die nach ihrem eigenen Vortrag durch eine äußerst geringe Wahlbeteiligung und eine aus welchen Gründen auch immer sehr geringe Bereitschaft, aktiv an der Arbeit in der Genossenschaft mitzuwirken, gekennzeichnet ist, ist damit nicht vergleichbar. Denn mit den beanstandeten Regelungen sind Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlhelfer als potentielle Kandidaten „verbrannt", so dass der potentielle Kreis der Kandidaten sinkt.

Der Einwand der Beklagten, der Ausschluss schränke nicht das passive Wahlrecht ein, weil niemand verpflichtet werden könne, als Wahlvorstand oder Wahlhelfer tätig zu werden, trägt vor diesem Hintergrund nicht. Ohne Wahlvorstand/Wahlhelfer sind Wahlen weder rechtlich noch tatsächlich durchführbar. Der hierdurch ausgeübte mittelbare Druck reicht aus, um eine Verletzung des Grundsatzes der allgemeinen Wahl anzunehmen.

Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die unzulässige Einschränkung des passiven Wahlrechts Auswirkungen auf das Wahlergebnis hat, denn es ist vorstellbar, dass zu Wahlvorständen oder Wahlhelfern bestellte Personen allein aus diesem Grund von der Kandidatur abgesehen haben. Wie sich eine zumindest mögliche Kandidatur weiterer Personen auf die Wahlchancen des Klägers ausgewirkt hätte, ist demgegenüber für die hier in Rede stehende Nichtigkeitsfeststellung unerheblich. 

b) Ein weiterer Verstoß liegt darin, dass die Kandidatur bei Wahlvorschlägen einfacher Genossenschaftsmitglieder von 20 Stützunterschriften abhängig gemacht wurde, während dies bei Wahlvorschlägen des Vorstands nicht erforderlich war und - darüber hinaus - nach dem eigenen Vortrag der Beklagten das vorgesehene Verfahren dann im Ergebnis nicht eingehalten wurde.

Im Grundsatz ist allerdings nicht zu beanstanden, dass ein Wahlvorschlag von Stützunterschriften abhängig gemacht wird. Dies ergibt sich mittelbar aus § 43a Abs. 4 S. 6 GenG, wonach „in jedem Fall" eine Zahl von 150 Mitgliedern ausreicht, um einen Wahlvorschlag zu machen. Ob die Einführung von Stützunterschriften rechtswidrig sein kann, wenn die Genossenschaft prinzipiell durch Überalterung und äußerst geringe Wahlbeteiligung gekennzeichnet ist, so dass die tatsächlichen Hürden für die Sammlung der Stützunterschriften sehr hoch sind, muss im vorliegenden Fall nicht abschließend entschieden werden. Denn wenn ein solches Erfordernis eingeführt wird, muss es einheitlich geregelt und praktiziert werden. Unzulässig ist es demnach, dass nach der Satzung und der Wahlordnung lediglich die Vorschlage „einfacher" Mitglieder Stützunterschriften bedürfen, nicht aber derjenigen des Vorstands. Ein sachlicher Grund für eine solche Differenzierung besteht nicht. Die Vorstandsmitglieder mögen aus ihrer Tätigkeit einen Eindruck gewinnen, welche Mitglieder für eine Mitarbeit in der Vertreterversammlung geeignet und daran nicht nur aus einer momentanen Laune heraus, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit interessiert sind. Das bedeutet aber nicht, dass ihre Wahlvorschläge daher in irgendeiner Weise privilegiert sein dürften. Die Vertreterversammlung hat gemäß § 18 der Satzung u.a. die Aufgabe, über die Entlastung des Vorstands und die Abberufung von Vorstandsmitgliedern zu entscheiden, außerdem hat sie über wesentliche Elemente der Geschäftspolitik (Feststellung Jahresabschluss, Höchstbetrag von Kreditgewährungen, wesentliche Änderungen der Unternehmensstrategie u.a.) zu beschließen. Sie kann diese Funktionen sachgerecht nur ausüben, wenn sie ihre Unabhängigkeit bewahrt und jeder äußere Anschein vermieden wird, dass Vorstand (oder auch Aufsichtsrat) die Zusammensetzung der Vertreterversammlung beeinflussen könnte, um seine Geschäftspolitik besser durchzusetzen. Eine Privilegierung von Wahlvorschlagen der Vorstandsmitglieder ist damit nicht zulässig. Sie kann andere geeignete Kandidaten von der Kandidatur abschrecken oder bei einem einfachen Mitglied die Vorstellung auslösen, solche Vorschlage seien prinzipiell ,,besser" oder „gewichtiger" als diejenigen der anderen Mitglieder.

Soweit die Beklagte vorträgt, dass sie bei der streitgegenständlichen Wahl vom Erfordernis der Stützunterschriften mangels ausreichender Kandidaten wieder Abstand genommen habe, auch der Kläger sei auf diese Weise vom Vorstand vorgeschlagen worden, rechtfertigt dies keine andere Bewertung. Im Gegenteil führt es erst recht zur Nichtigkeit, wenn eine Änderung der Satzung und der Wahlordnung zunächst eingeführt wird, um dann aus Praktikabilitätsgründen davon wieder abzusehen. Es liegt auf der Hand, dass allein durch das Einführen von Stützunterschriften Kandidaten von der Kandidatur abgeschreckt werden können, weil sie sich nicht zutrauen, diese beizubringen. Wenn dann im tatsachlichen Verlauf dieses Kriterium wieder aufgegeben wird, ist die Kandidatenaufstellung nicht nachvollziehbar und damit geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.

c) Ob die weiteren vom Kläger angeführten Argumente, insbesondere der Zuschnitt der Wahlbezirke, die Ermittlung der Wahlberechtigten und der Anzahl der zu wählenden Personen sowie die tatsächlichen Abläufe (Kandidatenpräsentation, Gestaltung der Stimmzettel, Feststellung des Wahlergebnisses) ebenfalls geeignet sind, die Nichtigkeit der Wahl herbeizuführen, muss vor diesem Hintergrund nicht mehr abschließend festgestellt werden.

2. Der weiter gehende Feststellungsantrag hat teilweise Erfolg.

a) Aus dem zu 1. a) und b) Gesagten folgt, dass die Vorschriften in § 1 Abs. 2 S. 4 WO und § 9 Abs. 1. WO, die den Ausschluss von Mitgliedern des Wahlvorstands und Wahlhelfern von der Kandidatur regeln, für nichtig zu erklären sind. Soweit im Protokoll vom 25. Mai 2.010 versehentlich § 1 Abs. 2 S. 3 WO aufgenommen wurde, handelt es sich ersichtlich um einen Irrtum des Gerichts, der Antrag ist insoweit der Auslegung zugänglich, da die Parteien ersichtlich gerade um diese Regelung streiten.

b) Erfolg hat der Antrag auch hinsichtlich der Vorschrift des § 7 Abs. 2 WO. Wie dargelegt, besteht für die unterschiedliche Behandlung der Wahlvorschläge des Vorstands und einfacher Mitglieder tatsächlich kein rechtfertigender Grund. Die Vorschrift ermöglicht zumindest den Versuch einer Einflussnahme des Vorstands auf die Zusammensetzung der Vertreterversammlung (ohne dass damit etwas darüber gesagt ist, ob es bei der Wahl im Mai 2009 tatsächlich zu einer Beeinflussung gekommen ist). Damit liegt objektiv ein Verstoß gegen die Grundsätze der allgemeinen und gleichen Wahl vor, der als Verstoß gegen zwingendes Gesetzesrecht (§ 43a Abs. 4 GenG) zur Nichtigkeit und nicht nur zur Anfechtbarkeit führt.

c) Keinen Erfolg hat die Klage hingegen, soweit sie sich gegen den Ausschluss der Briefwahl für in Berlin ansässige Mitglieder wendet. Insoweit gibt es keine gesetzlichen Vorgaben, so dass die Wahlordnung dies selbständig regeln kann, soweit keine willkürlichen Differenzierungen vorgenommen werden. Wenn sich die Beklagte aus finanziellen Gründen für eine Urnen- und gegen eine Briefwahl entscheidet, ist dies zunächst einmal hinzunehmen. Allein der Umstand, dass es für ältere oder kranke Genossenschaftsmitglieder schwierig ist, das Wahlrecht auszuüben, gebietet nicht die flächendeckende Einführung der Briefwahl. Das Unterscheidungskriterium, ob die Genossen ihren Wohnsitz innerhalb oder außerhalb Berlins haben, ist jedenfalls nicht willkürlich gewählt, weil das Briefwahlgebiet jedenfalls theoretisch das gesamte Bundesgebiet erfassen kann und eine Urnenwahl insoweit nichtpraktikabel ist.

Allenfalls könnte diskutiert werden, ob die Beklagte verpflichtet ist, die innerhalb Berlins ansässigen Mitglieder auf die sicher nicht jedem geläufige Möglichkeit der Stimmrechtsvollmacht gemäß § 43 Abs. 4 S. 1 GenG in allgemein zugänglicher Form hinzuweisen. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Nichtigkeit der Vorschrift.

3. Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Juni 2010 ergänzend vorgetragen hat, der Kläger sei im Hinblick auf im Jahre 2003 erklärte Kündigungen nicht mehr Mitglied der Genossenschaft, war dies nicht zu berücksichtigen. Es handelt sich um einen Fall des § 296a ZPO, weil die Ausführungen nicht im Rahmen der gewährten Erklärungsfrist zum vorangegangenen Schriftsatz des Klägers gemacht wurden, sondern komplett neuen Sachvortrag enthalten. Dieser kann nicht als streitig oder unstreitig angesehen werden, sondern ist schlicht nicht zu berücksichtigen. Es besteht auch kein Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1 oder 2 ZPO, weil nicht ersichtlich ist, warum der Vortrag nicht früher möglich gewesen sein sollte. Mit Setzung der Frist zur Klageerwiderung bzw. Zugang der Terminsverfügung war es Sache der Beklagten zu prüfen, ob die Rechtsverteidigung aus anderen als den bisher streitgegenständlichen Gründen Erfolg haben könnte. Im Übrigen hat die Beklagte selbst auf die Möglichkeit des Widerrufs der Kündigung und die hierzu gefassten Beschlüsse hingewiesen, so dass nicht die Konstellation eines erkennbar unrichtigen Urteils vorliegt, die möglicherweise unabhängig von prozessualen Erwägungen eine Wiedereröffnung gebieten könnte.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, wobei zu berücksichtigen war, dass der Kläger nur mit einem relativ geringen Teil seines Anspruchs unterliegt. Die im Termin vorgenommenen Konkretisierungen stellen keine teilweise Klagerücknahme dar, weil sich der nach dem Antrag und dem wesentlichen Sachvortrag zu bestimmende Streitgegenstand nicht geändert hat. Die vorläufige Vollstreckung bezieht sich nur auf die Kosten, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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