Die Genossenschaftliche Idee als Weltkulturerbe?

Einerseits: Die „Deutsche Hermann-Schulze-Delitzsch-Gesellschaft“ hatte vor etwa drei Jahren den Einfall gehabt, der Genossenschaftsidee seitens der UNESCO das Prädikat „immaterielles Weltkulturerbe“ zukommen zu lassen und sie hat sich sehr intensiv dafür eingesetzt. Ihr Vorstand war sogar in der Sitzung des Entscheidungsgremiums im November 2015 in Adis Abeba vertreten. Die Initiative war erfolgreich. Aber, wer außerhalb der genossenschaftlichen Experten weiß das schon?

Andererseits: Ich bekenne, sehr skeptisch gewesen zu sein, was die Wirkung einer solchen UNESCO-Würdigung betrifft. Es ist eine Sache, ein materielles Ensemble, kultische Bauwerke und dergleichen, die geografisch und räumlich eindeutig zu orten sind, als Weltkulturerbe zu deklarieren. Dann können zum Beispiel Reiseführer Hinweise darauf enthalten und tausende und abertausende Touristen können ihrerseits mehr oder weniger andächtig das Welterbe sinnlich wahrnehmen. Und es ist eine andere Sache, eine Idee als Kulturerbe zu würdigen. Da sind die Träger dieser Idee schon sehr gefordert. Es bedarf viel Phantasie, großer Kompetenz, um den zunächst ja ahnungslosen Menschen zu vermitteln, welcher Schatz sich da vor ihnen auftut und wie man mit ihm umgehen sollte. Dass das überhaupt einigermaßen gelingen könnte, daran zweifelte ich damals.

Im Übrigen hatte ich die Begründung des Vorschlages sehr deutlich kritisiert. Denn darin wurde behauptet, die Idee der Genossenschaft habe ihren Ursprung in Delitzsch (dem Heimat- und zeitweiligen Wirkungsort Schulze-Delitzschs) und in Weyerbusch und Flammersfeld (den zeitweiligen Wirkungsorten Raiffeisens) gehabt. Diese Behauptung war nichts weiter als ein Fake, also auf Deutsch eine Lüge. Denn die Idee der Genossenschaft ist uralt und die moderne Genossenschaft ist zunächst in England und Frankreich entwickelt worden. Beides war einem so klugen und reflektierten Mann wie Schulze-Delitzsch natürlich bekannt, und er hat bewusst darauf aufgebaut.

Aber lassen wir das. Denn jetzt im Oktober fand eine Veranstaltung der Schulze-Delitzsch-Gesellschaft in Delitzsch, in dem dortigen Genossenschafts-Museum statt. Das Museum ist im Wesentlichen dem Namensgeber der Gesellschaft gewidmet und hatte nun sein 25-jähriges Jubiläum. Welch eine großartige Gelegenheit, dachte ich, als ich die Einladung dazu erhielt, dem UNESCO-Titel einen ordentlichen Drive zu geben. Jetzt lässt sich doch öffentlichkeitswirksam das Geschenk des UNESCO-Kulturerbes feiern. Ich war bereit, als ich mich dazu auf den Weg nach Delitzsch machte, mich davon überzeugen zu lassen, dass die Initiative ihre ganz eigene Wirkung entfalten könnte und ich war neugierig, was sich die Schulze-Delitzsch-Gesellschaft dazu alles einfallen lassen würde. Ich war sogar willens, über die Fakes in der ursprünglichen Begründung gegenüber der UNESCO hinwegzusehen.

Aber Pustekuchen. Vor fünfundzwanzig bis dreißig Gästen (davon offensichtlich eine Person von einer Lokalzeitung; die übrigen Teilnehmer waren aus Delitzsch oder Organmitglieder der Schulze-Delitzsch-Gesellschaft), wurde dann das Programm abgespult, einem Imkerverein durchaus angemessen (war doch sogar der Delitzscher Oberbürgermeister anwesend): Begrüßung (doppelt), Verleihung der Hubermedaille [Victor Aimé Huber, kirchlich-konservativ (obwohl in seiner Jugend im Freiheitskampf der Liberalen in Spanien engagiert), gab entscheidende Anregungen zur Gründung von Wohnungsgenossenschaften und führte schon 1848, also vor Schulze-Delitzsch, den Begriff „Selbsthilfe“ in die genossenschaftliche Diskussion ein. ] der sächsischen Wohnungsgenossenschaften, Überreichung eines Spendenschecks, Informationen seitens zweier Zeitzeugen über die Gründung zunächst des Museums und dann seines Fördervereins. Und es wurden Sekt und Orangensaft gereicht und Schnittchen angeboten. Ich kann mich nicht erinnern, dass das Wort „Weltkulturerbe“ fiel – es sei denn sehr beiläufig und in einem meiner schläfrigeren Momente. Aber Weltkulturerbe, verbunden mit einem 25jährigen Jubiläum – das schreit doch nach Weltoffenheit, nach Antworten auf Fragen wie: Woher kommen wir? Mit welchen Herausforderungen haben wir heute zu tun? Wohin soll oder kann unsere  Reise gehen? Undsoweiter, undsoweiter.

Aber noch nicht einmal die europäische Regionalorganisation der International Cooperation Association war dazu bewogen worden, eine Grußadresse zu schicken.

Kein wirklicher Gedanke, der mit dieser wichtigen, geradezu kostbaren Menschheitsidee der Genossenschaft verknüpft wäre, wurde umrissen. Es hätte kein neuer Gedanke sein müssen. Ein Aspekt aus der genossenschaftlichen Gründerepoche, neu beleuchtet, anders interpretiert, in aktuelle Zusammenhänge gestellt, hätte es auch getan. Kurzum, das deutsche Genossenschaftswesen stellte sich so dar, wie es nun einmal ist: phantasielos, energielos, in seinem Verbändekorsett eingeschnürt. Wohlgemerkt, es war eine öffentliche Veranstaltung, keine interne Gremiensitzung.

Eine Ausnahme muss ich nennen: Dietmar Berger, eigentlicher Gründer und lange Zeit Vorsitzender des Fördervereins (und ehemals Präsident des Mitteldeutschen Genossenschaftsverbandes), mit dem ich durchaus auch meine Konflikte hatte, Dietmar Berger also zeigte als einziger Engagement, in dem er deutlich genug Maßnahmen anmahnte, die die öffentliche Wahrnehmbarkeit für Schulze-Delitzsch, die Fördergesellschaft, das Museum und damit der Genossenschaftsidee herstellen könnten, um (und das ist jetzt mein Zusatz) den engen selbst gewählten  Käfig zu sprengen, weil ja ein Weltkulturerbe über Delitzsch hinaus strahlen sollte.

Naja, und es wurde mitgeteilt, dass die Schulze-Delitzsch-Gesellschaft sich demnächst (oder irgendwann?) an das zuständige sächsische Ministerium wenden werde, um in Schulen für die Gründung von Schülergenossenschaften werben zu können.

Wilhelm Kaltenborn
Oktober 2017

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